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Er liebt die kleinen Dinge des Lebens

Mit viel Fingerspitzengefühl: Waldemar Backert, der Erfinder des „kleinsten Korbes der Welt“ in seiner Michelauer Werkstatt. Foto: Wibke Gick

Mit flinken Fingern nimmt sich Waldemar Backert eine Weidenrute und splittet sie. Dann hobelt er sie flach und fein. Glänzende Fäden fallen auf den rauen Boden in seiner Werkstatt. Der Arbeitstisch darüber ist übersät mit kleinen Holzformen, die er später zur Herstellung seiner Miniaturen braucht. In einem Körbchen neben seiner Arbeitsbank befinden sich etliche Utensilien, Hobel, Feilen und kleine Messerchen. Der 83-Jährige zieht sich seine blaue Arbeitsschürze an und beginnt zu flechten.

Mit flinken Fingern verarbeitet er hauchfeine Weidenfäden zu kostbaren Schätzen. In aller Ruhe, dennoch schnell und voller Präzision. Hier sitzt jeder einzelne Schritt. „Man konzentriert sich mit den Händen und der Kopf hat Zeit zu träumen“, sagt er.

Ins Träumen geraten vor allem die Liebhaber seiner Flechtstücke. Die Miniaturen des Altmeisters schätzen Sammler aus ganz Europa. Und die Liste seiner Auftragsarbeiten ist lang. Über 350 verschiedene Korbmodelle hat er bislang in sein Repertoire aufgenommen. Die meisten Stücke werden im Maßstab 1:12 gefertigt, damit sie in jede Puppenstube passen. Wäsche- oder Weinballonkörbe sind die Bestseller, die wohl in keiner guten Stube fehlen dürfen. Ebenso Kinderwiegen, Stubenwägen und kleine Spankörbe. „Besonders beliebt ist auch der Geflügelkorb“, verrät der Michelauer.

An besonderen Körben oder Sonderanfertigungen sitzt er mehrere Tage. Besonders stolz ist der 83-Jährige auf eine Miniatur-Sitzecke aus dem Empfangsraum der ersten Klasse der Titanic. In aufwändiger Detailarbeit hat er die Weide in zwei Schienen doppelt verflochten. „Dies hat zum Effekt, das es innen und außen glänzt“, verrät er. Auf die Idee hat ihn ein holländischer Kunde gebracht. Er hat dem Korbmachermeister ein Bild zugesendet, auf dem die Originalmöbel des Luxusschiffes zu sehen sind. Mehr als eine Kopie oder Foto, das nicht mal scharf sein muss, braucht der Flechtmeister als Vorlage auch gar nicht. Zuerst schnitzt er ein Holzmodell, über das die Feinarbeit gelegt wird, dann kann es auch schon losgehen.

„Spannend war es jedoch, den passenden grün melierten Stoff aufzutreiben“, so Backert. Doch in einer großen Kiste, in der er Stoffreste von einem Besuch bei der Pariser Miniaturbörse aufbewahrt hat, wurde er schließlich fündig. Die Farben passten perfekt. Seitdem hat er die Titanic-Sitzgruppe auf Börsen und Ausstellungen im Gepäck. Mit Erfolg, denn das Interesse ist groß. Sogar das Fernsehen hat schon berichtet. „Und ich habe bereits etliche Anfragen erhalten, die Möbelgruppe nachzubauen. Die Titanic war eben etwas Außergewöhnliches, dies macht wohl den besonderen Reiz für Sammler aus“, sagt Backert und freut sich dabei.

Doch der Miniaturflechtmeister liebt es nicht nur fein und filigran. Für ihn können die Flechtarbeiten nicht klein und winzig genug sein. „Für mich ist das einfach eine Herausforderung – und es macht ungeheuren Spaß.“ Und so erschuf Waldemar Backert zum Korbmarkt vor etwa 25 Jahren den „kleinsten Korb der Welt“. Mit seinem acht Millimetern im Durchmesser ist er es bis heute geblieben. Wie er damals auf die Idee gekommen ist? „Ich wollte einfach mal was Kleinstes machen“, sagt er und grinst verschmitzt. Ganze 1408 Stück hat er bis zum heutigen Tag in Handarbeit geflochten. Eine Leistung, die ihn staunen lässt. „Niemals hätte ich an so einen Erfolg gedacht. Anfangs dachte ich, ich verkaufe maximal 40 Exemplare, nicht mehr.“

Seitdem reizt es ihn, absolute Miniaturstücke zu kreieren. Und so kam nach dem „kleinsten Korb der Welt“ der „kleinste Puppenwagen der Welt“. Der ist allerdings so winzig, dass man ihn tatsächlich unter einer Lupe betrachten muss, um jedes Detail erkennen zu können. Während die ersten Modelle des Kinderwagens noch feste Räder hatten, können sich diese mittlerweile sogar drehen. „Man lernt eben nie aus und versucht, immer noch ein bisschen besser zu werden – und das mit jedem Stück.“

Sein Alter ist ihm dabei nicht im Weg. Backert ist sogar davon überzeugt, dass sich seine Technik im Laufe der Jahre immer weiter verfeinert hat – bis hin zur Perfektion. Immer noch fallen ihm besondere Tricks ein, die er in seine Arbeit einfließen lässt. „Und wenn es doch mal in den Händen zwickt, dann vergisst man das schnell wieder, weil das Flechten einfach so viel Spaß macht“, sagt er.

Vor allem die Rückenkörbe haben sich im Laufe der Jahre zu seiner großen Leidenschaft entwickelt. „Die sind mir einfach ans Herz gewachsen.“ Seine Spezialität: der 5,5 Zentimeter große Thüringer Splittenkorb mit eingeflochtenem Lebensbaum, den er für 585 Euro verkauft. „Da sitze ich schon ein paar Tage drüber“.

Einer der Letzten seiner Zunft

Waldemar Backert kommt aus einer traditionellen Korbmacherfamilie. Die Gene wurden ihm von Vater und Großvater in die Wiege gelegt. Sein Wissen vertiefte er dann an der Lichtenfelser Korbflechtschule, an der er zum Korbmachermeister ausgebildet wurde. Viel habe er aber auch von seinem Vater gelernt. Und wird etwas sentimental: „Wenn der heute meine Körbchen sehen könnte, das hätte ihm gefallen.“

Doch das Handwerk der Feinflechterei selbst ist so gut wie ausgestorben. Backert, der sich auch bei den „Lebenden Werkstätten“ im Michelauer Korbmuseum engagiert, ist einer der Letzten seiner Zunft. Und mit ihm wird auch einmal das besondere Wissen um die Miniaturflechtkörbe aussterben, denn seine Kinder und Enkelkinder werden seine Kunst nicht fortführen. Doch der gebürtige Michelauer hat den Schalk im Nacken und sieht auch dies nicht so tragisch. „Man sollte sich also rechtzeitig einen Korb von mir sichern“, sagt er und kann sich ein Lächeln nicht verkneifen.

Sich zur Ruhe setzen? Dass kommt dem 83-Jährigen nicht in den Sinn. Denn obwohl Waldemar Backert seit über 60 Jahren selbstständig ist, betritt er Tag für Tag voller Freude seine karg eingerichtete Werkstatt. Das tägliche flechten hält ihn jung. „Und ich habe noch Ideen für 40 Jahre.“

Herzensangelegenheit: Die Rückenkörbe sind Backerts ganz besondere Spezialität.
Ein Hauch von Glamour in Miniatur: Empfangsraum der Ersten Klasse der Titanic.

Von unserem Redaktionsmitglied

Wibke Gick

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